Site Loader
Westfalen, Niederrhein und deutschlandweit
Westfalen, Niederrhein und deutschlandweit

Bauherren haben viele Kriterien, nach denen sie ihr Haus planen lassen. So verschieden wie die Menschen sind, so verschieden sind auch Prioritäten bei der Entscheidung welches Haus passt. In dieser Reihe möchte ich Bauherren zu Wort kommen lassen, um über das ganz persönliches Wohn- und Bauerlebniss zu schreiben. So könnt ihr erfahren, wie es sich in den verschiedenen Häusern lebt, wo Probleme lagen und was sowohl in der Planung als auch in der Nutzung gut funktioniert. Ihr wollt selber teilnehmen? Schreibt mir gerne eine Email.

  • Bauherren: Familie Rizvi
  • Baujahr 2017
  • Einzug Mitte August 2017
Das Passivhaus der Familie Rizvi. Klare, kompakte Bauform mit großen Fenstern zum Nutzen von passiver Sonnenenergie.
Quelle: Familie Rizvi.

Erzählt doch bitte kurz wer ihr seid und was für ein Haus ihr gebaut habt.

Wir sind eine kleine Familie mit zwei Kindern (8 und 6). Leider ist unser Hund vor einem Jahr verstorben. Da mein Mann in Frankfurt arbeitet, haben wir im Großraum Frankfurt nach einem Neubauprojekt gesucht. In Offenbach hat sich ein günstiges Projekt angekündigt. Leider war der energetische Standard der Häuser total überholt, Stichwort: Fenster mit Doppelverglasung.

Also mussten wir uns nach einem Grundstück umschauen, was eine echte Herausforderung war. Da kam uns das Passivhaus Neubaugebiet in Nidderau sehr gelegen. Manche Bauherren fürchteten sich vor dem Passivhaus. Wir planten sowieso eins zu bauen. Es wurde sogar im Grundstückskaufvertrag festgehalten, dass wir ein Passivhaus mit einer Photovoltaikanlage auf dem Grundstück errichten.

Die einzige Frage, die noch zu klären war: wollen wir Massiv- oder Fertighaus bauen? Die Antwort darauf ergab sich durch die Umstände. Wir mussten vor der Einschulung unseres Sohnes fertig werden. Aus Zeitmangel wurde ein Fertighaus gebaut. Genauer gesagt keine Ständerbauweise sondern ein Haus aus massivem Holz. Dadurch gelang es uns die Vorteile der beiden zu verbinden. Einerseits wurde das Haus sehr schnell fertiggestellt. Andererseits ist die Bausubstanz nachhaltig und gleichzeitig schwer genug um die Akustik zu verbessern.


Für welchen Energiestandard habt ihr euch entschieden?

Für Passivhaus. Es war unsere bewusste Entscheidung, die wir mehrfach rechtfertigen mussten. Leider ist es vielen Fachleuten aus der Baubranche der energetische Standard nicht geläufig. Es kursieren unglaubliche Geschichten über zu hohe Investitions- und Zertifizierungskosten, kalte und ungesunde Häuser mit stickiger Luft, da die Häuser luftdicht sind und man dort angeblich keine Fenster öffnen darf. Es war hart mit so vielen Märchen konfrontiert zu werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass Bauherren, die verunsichert sind oder einem skeptischen Architekten vertrauen, sich von dem Passivhausstandard abbringen lassen.

Photovoltaik-Belegung der Dachflächen nach Süden, aber auch nach Osten und Westen zur maximalen Nutzung von Solarenergie.
Quelle: Familie Rizvi.

Was genau hat euch dazu bewogen? Welche Information, welche Erfahrung, welche Vorstellung?

Aus diesem Grund ist es unerlässlich sich gut zu informieren und nur die richtigen Partner für das Bauvorhaben auszusuchen, die sich mit Passivhäusern auskennen. Bereits vor der Planung habe ich verschiedene Ratgeber und Fachmagazine übers Bauen gelesen, mich intensiv mit dem Thema befasst. Ich fand das Buch von Thomas Königstein „Ratgeber energiesparendes Bauen“ sehr hilfreich. Das Buch ist in einfacher Sprache geschrieben worden und für Laien gut geeignet.

Mein Ziel war es: ein warmes Zuhause zu planen, dass keine große finanzielle Belastung im hohen Alter darstellt. Das Haus sollte uns eher entlasten. Die ältere Menschen müssen häufig ihre Häuser verlassen, da sie entweder die Treppen nicht mehr steigen können oder die Nebenkosten zu hoch sind. Die beiden Punkte wollte ich aus dem Weg räumen, obwohl wir noch nicht alt sind. Ein Haus als eine Art Rentenvorsorge.


Hattet ihr Unterstützung durch einen Architekt*in oder Ingenieur*in? Hattet ihr einen extra Planer*in für die bauphysikalischen und energetischen Fragen?

Das wichtigste war auf die richtige Baufirma zu setzen, die kein Problem mit der Zertifizierung des Hauses hatte. Allen Bauunternehmen erzählten wir vor der beabsichtigten Zertifizierung bei dem Passivhaus Institut in Darmstadt. Wie es sich schnell herausstellte, kniffen viele Anbieter bei der Vorstellung. Die Zertifizierung wurde zu einem Sieb, wodurch dem Standard nicht gewachsene Baufirmen ausschieden. Dank der Zertifizierung wussten wir, dass wir auf die richtigen Partner gesetzt haben. Es ist wichtig, besonders in der Planungsphase, das Projekt einem Zertifizierer zur Ansicht vorzulegen. Dann kann er noch einige Optimierungen vorschlagen. Je früher er eingebunden wird, desto besser. Die Korrekturen des Projekts sind noch die günstigsten.


Gab es bei euch in der Planungsphase Besonderheiten, die vielleicht mit einem EnEV-Haus nicht aufgetaucht wären?

Nicht dass ich wüsste. Wir haben das Projekt absichtlich sehr einfach gehalten um Schwierigkeiten bei der Planung, bei der Ausführung oder später auszuschließen.


Wie lebt es sich in eurem neuen Haus? Bemerkt ihr einen Unterschied zu einem älteren Haus oder einem anderen Energiestandard?

Ja, der Unterschied ist nicht von der Hand zu weisen. Wie wir feststellen mussten, hat ein Passivhaus auch Nachteile. Wir fühlen uns pudelwohl zu Hause und verreisen nicht gerne. Selbst im Urlaub, als wir gefroren haben, da die Raumtemperatur zu niedrig war und wir den kalten Luftzug spürten, wollten die Kinder einfach nach Hause. Ein anderes Mal kamen wir alle erkältet zurück. Ein Passivhaus bietet ein viel höheren Komfort an. Man gewöhnt sich sehr schnell daran und vermisst es woanders, zum Beispiel bei der Arbeit, in der Schule oder auf Reisen.

Der größte Segen ist die Lüftungsanlage, die den Überschuss an Feuchtigkeit abtransportiert und immer für frische (und im Winter vorgewärmte) Luft sorgt. Wir frieren nicht, das Haus hat immer, für uns optimale 24 Grad Zimmertemperatur. Der weitere Nachteil ist: wir haben das Gespür für das Wetter draußen verloren. Jeder Sonnenschein gaukelt uns warmes Wetter vor. Meine Kinder fragen mich im November, ob sie kurze Hosen anziehen sollen. Wir gehen manchmal aus dem Haus und kommen gleich zurück um die Jacken zu holen.

Die Vorteile, die wir noch beobachten können: wir werden seltener krank, haben selten Kopfschmerzen. Die Erkältungen verschwinden viel schneller als sonst.


Wie hoch waren die Mehrkosten? Könnt ihr diese wieder einsparen?

Im Vergleich zu einem ENEV Haus beliefen sich die Mehrkosten auf etwa 9% und 2% im Vergleich zu KfW 40 Haus. Wir hätten noch mehr Geld sparen können, wenn wir auf die Fußbodenheizung verzichtet hätten. Das war unsere bewusste Entscheidung. Und obwohl der Fußboden im Winter nicht richtig warm wird (noch ein Nachteil des Passivhauses), kann das Haus über den Boden im Hochsommer gekühlt werden. Eine Kühlfunktion der Wärmepumpe sorgt bei der größte Hitze für angenehme Temperaturen. Wenn die Außentemperatur 32 Grad nicht übersteigt, ist die Kühlung nicht notwendig.

Unser Haus verdient Geld. Das bedeutet, dass wir im Jahr etwa 480 Euro Energiekosten haben und für die überschüssige Solarenergie ungefähr 680 Euro bekommen. Am Ende sind wir 200 Euro im Plus. Im Vergleich dazu sind die laufenden Kosten für unser Auto viel höher.

Verbrauchs- und Produktionsdaten der Photovoltaikanlage für das Jahr 2018. Bilanziell erzeugt das Haus mehr Energie als benötigt wird und verdient so Geld.
Quelle: Familie Rizvi.

Was würdet ihr wieder so machen, was würdet ihr anders machen?

Ich hoffe nicht, dass wir wieder ein Haus bauen oder wegziehen müssen. Vieles würden wir genauso machen. Wir würden natürlich wieder ein Passivhaus Plus bauen. Im unseren Haus würde ich ein Fenster gegen feste Verglasung eintauschen. Eine Waschküche im Obergeschoss wäre von Vorteil. Wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten, würde ich einen Sole-Wärmetauscher ums Haus verlegen und mit der Lüftungsanlage verbinden. Und wir würden uns bessere Fliesenleger aussuchen.


Was wolltet ihr der Bau-Welt schon immer mal erzählen?

Was ich enorm schade finde: viele Bauherren wissen gar nicht, was für Fortschritt die Baubranche gemacht hat. Sie denken und bauen immer noch wie früher, mit einer Gasheizung, auf dem schlechtesten energetischen Standard. Ich verstehe, dass man mit der Perimeterdämmung schlecht prahlen kann. Eine Küche oder der Garten sind deutlich sichtbar für die Nachbarn. Aber wenn man ein neues Haus baut, das noch viele Jahre stehen wird, hat man die einmalige Chance (fast) alles richtig zu machen. Ich weiß, dass es oft ums Geld geht und die Fachleute selten die Lust verspüren alle Möglichkeiten ihren Kunden aufzuzeigen. Jedoch denke ich, dass die Bauherren viel besser informiert werden sollen, damit sie überhaupt eine Chance haben sich für die besseren Lösungen zu entscheiden. Die Architekten, Bauingenieure, Planer, Installateure oder auch die Energieberater sollten den Bauherren ruhig mehr Mut zutrauen.

Leider das Gegenteil ist der Fall. Häufig müssen aufgeklärte Bauherren feststellen, dass die Fachleute von ihren zukunftsfähigen Plänen nicht begeistert sind und sie davon abhalten. Die Bau-Welt muss verstehen, dass die Nachhaltigkeit und die energetische Selbstversorgung immer höheren Wert unter der zukünftigen Hausbesitzern hat. Die neue Konzepte verbinden den niedrigsten energetischen Baustandard wie Passivhaus mit einer Wärmepumpe, Photovoltaikanlage, Stromspeicher, Ladestation und einem Elektroauto. Weg von den fossilen Brennstoffen zum Wohle der Umwelt, ihrer Kinder und der künftigen Generationen.

Deshalb habe ich mich entschieden, einen Baublog zu schreiben und über unsere Erfahrungen zu berichten. Die Bauphase ist schon längst vorbei. Ich veröffentliche unsere Energiewerte: den Verbrauch sowie die Stromerzeugung der Photovoltaikanlage.

Immer wieder melden sich interessierte Bauherren, die noch ein paar Tipps benötigen. Mittlerweile hat der Blog knapp 73.000 Klick erhalten. Ein Zeichen dafür, dass das Interesse vorhanden ist und nach neuen Konzepten aktiv gesucht wird.


Der Link zum Baublog “Autark mit Passivhaus” – sehr empfehlenswert!

https://autarkmitpassivhaus.blogspot.com/

Post Author: Sarah Kosmann

3 Replies to “Bauherren-Interview #1 – Leben im Passivhaus”

  1. Gut zu wissen, dass der Boden das Haus im Sommer kühlen kann. Ich interessiere mich schon sehr lange für Passivhäuser und finde Ihren Blog dazu genial. Ich hoffe wenn wir eins mal bauen, kann ich den Boden verlegen.

  2. Sehr interessanter Beitrag…bei uns ist es in 2 Jahren so weit, mal gucken was die Energieforschung bis dahin noch so entwickelt:9 Ein Passivhaus wird es in jedem Fall

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert